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In die Nesseln


Alle Jahre wieder im Frühjahr. Zeit der Gartenarbeit, die Bäume zu stutzen, Hecken zu schneiden und die Beete herzurichten. Kurz, den Winter auszutreiben. Dabei gibt es ein paar Dinge zu beachten. Wie etwa eine unterschätzte Pflanze, die Brennessel, im Garten einfach zu ignorien und der Natur ihren Lauf lassen.

März 2021

Als Plädoyer für die Brennessel soll dieser Beitrag verstanden werden. Für ein Umdenken, weg davon, sie als Unkraut zu betrachten und auszureißen. Denn das ist sie ganz und gar nicht, im Gegenteil! Bitte, lassen Sie sie stehen. Die Brennessel (Urtica diocia L.) ist eine der altbekanntesten Heilpflanzen und galt lange Zeit als Aphrodisiakum. Teile der Pflanze - Blätter, Blüten und Nüsschen - sind essbar, zudem sie ist eine der wichtigsten Nahrungsquellen für Insekten, Schmetterlinge und Bienen. Für viele ist neu, dass die Brennessel ein Indikator für die Qualität des Bodens ist, und dass aus den Stielen Fasern für Stoffe gewonnen werden können. Also ab in die Nesseln!

Nachdem der Winter Mitte März nochmals Einzug gehalten hatte, zieht es uns nun umso mehr raus in die Natur. Auf alle, die das Privileg haben, einen kleinen oder größeren Garten zu besitzen oder benützen zu dürfen, wartet auch erfreuliche Arbeit. Wie das Ergebnis aussehen soll, daran scheiden sich noch immer die Geister. Die einen erfreuen sich eines Golfrasens mit akkurat geschnittenen Hecken, die anderen eines Naturgartens mit möglichst vielen blühenden heimischen Sträuchern und Bäumen mit verwilderten Ecken als Unterschlupf für Kleintier und Insekten. Dass letzterer der Umwelt und Artenvielfalt viel zuträglicher ist, versteht sich. Wie jeder und jede Einzelne von uns hier mitgestalten kann, ist in einem nach wie vor gültigen Beitrag vom letzten Jahr nachzulesen.

In diesem hier geht es um die BRENNESSEL. Der Gattungsname Urtica dioica L. leitet sich von urere (brennen) ab. Die feinen Härchen an der Unterseite der Blätter sind dafür verantwortlich. Diese »Brennhaare« sind spitz zulaufend und haben an ihrem Ende eine kleine Kugel, die bei Berührung bricht. Die dabei entstehende scharfe Kanüle ritzt die Haupt wie eine Injektionsnadel und lässt die unter anderem histamin- und säurehältige Flüssigkeit eindringen. Dies verursacht das Jucken, Brennen und die rötlichen Dippeln. Wenn wir uns sprichwörtlich oder wahrhaftig in die Nesseln setzen, ist dies demzufolge auf jeden Fall höchst unangenehm. Wer den bösen Härchen beim Hantieren in der Küche den Garaus machen möchte, rollt mit einem Nudelwalker über die Blätter und erledigt so die Kügelchen.

Wachsen tut die Brennessel überall dort, wo es nährstoffreiche Böden gibt. Sei es im halbschattigen Wald, auf Lichtungen, in Gärten oder an Wegrändern. Sie kann unglaubliche drei Meter hoch werden! Generell bevorzugt sie Böden mit hohem Stickstoffgehalt und ist somit wichtige Zeigerpflanze für Gärtner. Denn starkzehrende Pflanzen wie Kohl, Tomaten oder Kürbis fühlen sich dort besonders wohl, schwachzehrende wie Bohnen oder Erdbeeren hingegen schießen ins Kraut und sind anfällig für Schädlinge. Also aufgepasst und hingeschaut! Ich hab mir übrigens vor Jahren Brennesseln aus dem Wald in den Garten geholt, wo sie in einem Randstück bestens gedeihen. Aussähen kann man sie im Frühjahr, die Wurzelverteilung kann im Herbst erfolgen.

Hinschauen tun vor allen Dingen viele Insekten, Schmetterlinge und Falter. Für sie ist die Brennessel eine wichtige Futterquelle, zudem legen sie dort auch ihre Eier ab. Manche von ihnen - Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs, Admiral - sind ausschließlich auf sie angewiesen. Für mindestens 36 heimische Tag- und Nachtfalterarten sind Brennnesseln unverzichtbar - wer sie aus seinem Garten entfernt, entzieht ihnen damit den einzigen Lebensraum. Besonders wenn sie blühen, sind die Nesseln besonders umschwirrt. Bei aufmerksamem Hinschauen findet auch das menschliche Auge die unscheinbaren Blüten plötzlich eigentlich recht hübsch.

Gern mitgenommen. Die Brennessel ist kulinarisch vielseitig einsetzbar und richtig gesund, siehe mehr dazu im nächsten Absatz. Die kleinen frischen Blätter kann man wunderbar als Salat essen, die kräftigeren können überall dort zum Einsatz kommen, wofür man auch Spinat nimmt: Quiches, Suppen, Nudeln, Pesto, Gewürzmischungen, Omlettes, Strudeln, Aufstriche, … Sie können auch milchsauer eingelegt und getrocknet als Chips genossen werden oder abgekocht und eingesalzen als Lab-Ersatz dienen. Die reifen Brennessel-Samen, die Nüsschen, erinnern ein wenig an Sesam und werden wie dieser verwendet. Die noch unreifen grünen Samen kann man rösten und als Gewürz verwenden oder roh als Brotbelag. Brennessel-Tee schmeckt intensiv herbal und hat die hier unten angeführten Qualitäten.

Wie hinlänglich bekannt hat die Brennessel besonders viele Inhaltsstoffe und heilende Wirkung. Besonders hervorzuheben sind Vitamin C, Eisen und Calcium, Enzyme, Proteine, organische Säuren, Chlor und noch viele andere mehr. Ihre medizinischen Eigenschaften sind demzufolge adstringierend, blutbildend, blutdrucksenkend, cholesterinsenkend, entwässernd, milchtreibend und stoffwechselanregend. Hier seien auch die aphrodisierenden Effekte eingereiht, die man ihr schon in Urzeiten zugesprochen hat. Potenz und Fruchtbarkeit sollte die Brennessel bei den alten Germanen sichern. Die alten Römer geißelten sich Gesäß und Lenden, um die Manneskraft wieder herzustellen. Und ob ein Mädchen noch Jungfrau war, sollte man daran erkennen, ob die Nesseln ihre frische grüne Farbe behielten, wenn es es darauf urinierte. Potzblitz! Auch in der Kosmetik findet die Brennessel Anwendung: in Shampoos, Haarwässern oder Haarwuchsmitteln, da sie die Durchblutung der Kopfhaut anregt.

Was dem Menschen nützt, nützt meist auch anderen Wesen. Wir kommen zum Pflanzenschutz. So lässt sich etwa aus Brennessel-Jauche ein Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel herstellen. Rezept siehe unten. In dieser Jauche wird unter anderem die Ameisensäure, ein Selbstverteidigungsmittel der Brennessel, freigesetzt und wirkt gegen Blattläuse. Das Mittel wird mit Wasser verdünnt und wird entweder versprüht oder zum Gießen verwendet. Im biodynamischen Wein- und Ackerbau gilt die Brennnessel mit ihren Inhaltstoffen als »größte Wohltäterin der Natur«, wird zur Stärkung des Immun-Systems der Rebe oder Pflanze generell als Tee ausgebracht und findet als Kompostpräparat (504) Anwendung. Kompostpräparate unterstützen in unterschiedlicher Art Wachstums-, Gesundungs- und Fortpflanzungsprozesse der Pflanzen, wirken also über den Kompost auf Boden und Pflanzen ein.

Ja, und als wäre das nicht schon genug, war die Zauberpflanze (sie soll in alten Zeiten auch Geister vertrieben haben und als Liebeszauber verwendet worden sein) auch noch Rohstoff für Papier, Garne und Kleidung. Aus den Fasern der Stängel wurden schon in der Steinzeit Netze, Stricke und Stoffe hergestellt, erst im 19. Jahrhundert verdrängte die Baumwolle die Brennessel. In Hamburg kann auch heute noch ein Maßschneider Brennessel-Textilien verarbeiten, beziehen tut er sie aus Nepal. Das Gewebe soll glatt und stark sein und in etwa wie grober Leinenstoff aussehen.

Sie sehen, so wertvoll kann vermeintliches Unkraut sein. Und jetzt zu Ostern gibt's Brennessel-Salat, wohl bekomm's!

Brennessel-Jauche (Fischer, Margot (2014): Wilde Genüsse. Das Kochbuch. S. 585)
Ein Gefäß (kein Metall) voll geschnittener Brennesseln wird mit Regenwasser oder abgestandenem Wasser bedeckt und untergelegentlichem Rühren mit einem Holzstock drei Wochen lang an einemwarmen Ort mit Fliegendraht verschlossen vergoren. Gelegentliche Zugabe von Steinmehl mildert den Geruch. Nach drei Wochen kann der Behälter dicht verschlossen werden. Die Flüssigkeit wird 1:10 verdünnt zum Gießen und Besprühen verwendet.

Quellen: Fischer, Margot (2014): Wilde Genüsse. Die Enzyklopädie. Wien, Mandelbaum-Verlag. Taucher, Claudia (2021): Franz brennt für die Nesssel. In: Via Airportmagazin Graz 01/2021, S. 44 bis 47.

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