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Biodynamischer Weinbau in einem Satz – ein Versuch


Anlass für diesen Artikel ist das wiederholt geäußerte Anliegen der Sommellerie, biodynamischen Weinbau in einem Satz erklärt zu wissen. Ein hehrer Wunsch! Derart komplexe Inhalte können einfach nicht in einen einzelnen Satz gepackt werden. Mithilfe der »Einführung in die Biodynamik« von Andrew & Kati Lorand hier trotzdem zumindest der Versuch einer Annäherung.

Mai 2021
Lorand, Andrew & Kati (2017). Einführung in die Biodynamik. Kurs zum Verständnis einer geistigen, ethischen und ökologischen Landwirtschaft. Pézenas: lulu.com

»Die Biodynamik1 ist ein ganzheitlicher, geistiger, sozialer, ökologischer und ethischer Ansatz für Landwirtschaft, Gartenbau, Essen und Ernährung.« lautet die Definition in »Einführung in die Biodynamik«, einem der Bücher der Biodynamie-Pioniere Kati & Andrew Lorand. Die wohl prägnanteste. Über diesen Satz hinaus nun etwas mehr an Annäherung.

Die biodynamische Landwirtschaft2 wurde 1924 mit dem »Landwirtschaftlichen Kurs« Rudolf Steiners begründet und gilt als Spitzendisziplin der ökologischen Agrikultur. Oft missinterpretiert, unverstanden und verwechselt ist sie für die, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen, der Schlüssel für die Gesundung des Weinbaus und der Landwirtschaft im Allgemeinen. Biodynamische Landwirt:innen versuchen, ein ökologisches und vielfältiges – also biodiverses – Ökosystem zu schaffen, das Gesundheit und Fruchtbarkeit innerhalb des Betriebes aufbaut und gewährleistet. Damit einher gehen – was den Weinbau betrifft – der Verzicht auf chemisch-synthetische Spritzmittel und Dünger, maschinelle Lese, Reinzuchthefe und so gut wie alle Schönungsmittel und Eingriffe im Keller. Statt dessen darf dort der Wein weitgehend ohne Manipulation seine Identität entwickeln. Im Weingarten muss für Humusaufbau und Förderung der Boden-Mikroorganismen und -Lebewesen Kompost ausgebracht werden. Begrünungs- und Biodiversitätsmaßnahmen (Obst- & Nussbäume, Kräuter, Sträucher, Einsaaten, Vogelnistplätze, Trockensteinmauern, Tierhaltung, Brachen, …) und Handlese sind verpflichtend.

Präparate aus tierischem Dünger, Pflanzen und Mineralien werden verwendet, um die Lebenskräfte des Hofes zu erneuern und ins Gleichgewicht zu bringen. So werden die Ernährungsqualität und der Geschmack der angebauten Lebensmittel (und Trauben) maximal verbessert. Gleichzeitig werden auch Boden und Pflanzen in Balance gebracht und gestärkt gegen Wetterunbill, Überschwemmungen oder Trockenheit, Schädlinge und Krankheiten. Bessere – also gesunde und lebendige – Böden und Pflanzen erbringen bessere, gesunde und lebendige Lebensmittel und Weine. Es scheint so logisch!

Ziel ist die Erneuerung der Landwirtschaft, bei der Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen. Biodynamie fußt auf einer tiefen Liebe zu Erde und Agrikultur, aufgebaut auf alter Bauernweisheit und bäuerlichem praktischen Hausverstand. Der Bauer, die Bäuerin muss wieder lernen, mit wachsamem Blick in die Natur zu diagnostizieren und zu unterscheiden, was gesund und ungesund für seine oder ihre Böden ist. Um dann für die individuelle Situation und Landwirtschaft das richtige Mittel zu wählen. Es geht also auch um die Wiederentdeckung der Berufung des Landwirtes und darum, Sorge zu tragen für die Gesundung und das Wohlergehen der Böden. Der Hof steht in permantem Austausch und in Wechselwirkung mit seinem Umfeld, mit der Umwelt, mit seinen Mitarbeiter:innen und dem Universum per se. Die Landwirtschaft soll als Individualität erkannt und als solche behandelt werden. Ziel ist somit auch eine Kreislaufwirtschaft mit Energieautarkie und weitgehender Unabhängigkeit.

Steiner, und hier kommt die Anthroposophie3 ins Spiel, emphiehlt regelmäßige Meditationsübungen für die inneren Bemühungen als Ergänzung zu den äußeren. Vordenker, was die heutige Achtsamkeitsbewegung betrifft. Auch hinsichtlich der drei Säulen der Nachhaltigkeit – Gesellschaft, Ökologie, Ökonomie. Steiner hat sie schon vor hundert Jahren vordefiniert und von den Bauern eingefordert. Der Mensch steht nicht außerhalb der Natur, sondern ist Teil von ihr. Demgemäß soll er sich verhalten und über die Landwirtschaft für sie Sorge tragen. So ist die Biodynamie für Steiner anthroposophische Medizin für die Agrikultur.

Abschließend sei gesagt, dass Biodynamie nichts mit Weinstilistik zu tun hat. Biodynamische Weine können gut oder schlecht sein, feinfruchtig oder gereift, klar oder unfiltriert, klassisch oder orange. Was sie immer sind: ein handwerkliches Produkt von Menschen, die voller Überzeugung hinter dieser Weinbaumethode stehen, weil sie sich auf alle Bereiche ihres Lebens auswirkt.

1 Der deutsche Begriff »Biodynamik« wurde nach und nach vom französischen »Biodynamie« abgelöst. Letzterer wird dem Sprachgemäß entsprechend deshalb auch in diesem Artikel verwendet.
2Die Bezeichnung »Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise« wurde übrigens erst nach Steiners Tod geschaffen. Bis dahin sprach man von »Anthroposophischer Wirtschaftsweise.
3Anthroposphie beinhaltet lt. Steiner das »Wissen des Geistesmenschen« und erstreckt sich auf alles, was dieser in der »geistigen Welt«, u.a. im Übersinnlichen, wahrnehmen könne.

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