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Vitiforestry. Agroforstwirtschaft für den Weinbau.


Der Begriff „Vitiforestry” gewinnt zunehmend an Bedeutung. Es ist also an der Zeit, sich näher damit auseinanderzusetzen. Bei Vitiforstry handelt es sich um die Anpassung des Konzepts der „Agroforstwirtschaft” für den Weinbau. Die kombinierte Land- und Forstwirtschaft ist allerdings keine moderne Erfindung. Schon unsere Großeltern und ihre Vorfahren pflanzten  in ihren Mischbetrieben Bäume auf den Feldern. Damit war es allerdings ab Mitte des letzten Jahrhunderts auf vielen Flächen vorbei. Flurbereinigung und Monokulturen wurden State of the Art – mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Natur. Nur in der Biodynamie wurden Biodiversitätsflächen mit Bäumen und Hecken in den Richtlinien festgeschrieben und blieben bestehen. Was jedoch neu ist, ist der programmatische Ansatz auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Empirie.

März 2023

- Welche Bäume im Weinbau für Vitiforstwirtschaft geeignet sind, könnnen sie auf der Seite von → Delinat nachlesen.
- Mehr Infos zur Vitiforstwirtschaft ebenfalls bei → Delinat
- With Trees against Drought. Hübner, Rico. Deutscher Fachverband für Agroforstwirtschaft, 2023.

➤ ANHÖREN. Stimme: Natalie Lantos 
Audio Vitiforestry

Agroforesty (der international gängige Ausdruck für Agroforstwirtschaft) kombiniert Elemente des Ackerbaus und der Forstwirtschaft. Bäume oder Hecken und Sträucher werden auf derselben Fläche angebaut und genützt wie die landwirtschaftlichen Produkte. Oftmals werden dort auch Tiere gehalten. Die positiven Wechselwirkungen sind vielfältig und bringen soziale, wirtschaftliche und ökologische Vorteile für Landnutzer auf allen Ebenen. In Regionen mit Kaffee- oder Kakaoanbau etwa reduziert Agroforestry Abholzung und Wassermisswirtschaft. Das 1978 gegründete World Agroforestry Center hat sich zum Ziel gesetzt, durch ökologisch angepasste Produktionsweisen zu Armutsreduzierung und Ernährungssicherung beizutragen. Im Zuge des Klimawandels und der Erschöpfung von Böden entscheiden sich immer mehr Landwirte in westlichen Ländern für Agroforstwirtschaft. Diese Methode findet auch unter Winzerinnen und Winzern immer mehr Anhänger.

Das renommierte Champagnerhaus Ruinart zeigt es vor. Dort werden Bäume und Sträucher in den Weingärten gepflanzt, um die Biodiversität zu fördern und die Anbauflächen widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen. Dieser macht sich auch in der Champagne bemerkbar, wo die Trauben seit einigen Jahren viel zu früh reifen und die Zucker- und Alkoholwerte zu hoch sind. Die Ernte beginnt in dieser Region, die einst für ihr kühles Klima bekannt war, oft bereits im August statt wie früher Ende September. Seit 2021 hat Ruinart auf seinen 40 Hektar Rebfläche rund 14.000 einheimische Bäume und Sträucher wie Hainbuche, Linde, Hartriegel und Weißdorn gepflanzt. Bis Ende 2023 sollen es sogar 20.000 sein, wie das Weinportal wein.plus berichtet.

Das Gut Hardegg im Weinviertel gilt in Österreich als ein Musterbetrieb für Biodiversitätsmaßnahmen auf Weinbergen und Feldern. Auf 9 % seiner insgesamt 2.200 Hektar großen Fläche widmet sich Maximilian Hardegg der Anpflanzung von Bäumen, Blühstreifen, Beetle Banks und Renaturierungszonen. Und Fritz Wieninger aus Wien betont ebenfalls die Bedeutung von Biodiversität für seine Weingärten und hat dort in den letzten Jahren zusätzlich zu den bestehenden Bäumen weitere 120 Obstbäume verschiedener Sorten gepflanzt – darunter Marillen, Zwetschken, Weichseln, Pfirsiche, Quitten, Walnüsse und Haselnüsse, sowie einige Eichen. Diese sollen Insekten anlocken und ihnen Nahrung bieten, Vögeln und Eichhörnchen ein Zuhause geben. Gleichzeitig sollen die Früchte geerntet und verarbeitet werden. Ein Vitiforestry-Modell par excellence!

NUTZEN von Agroforstwirtschaft. Bäume, Hecken und Sträucher auf und um landwirtschaftliche Flächen wirken sich in vielerlei Hinsicht positiv aus und sorgen für

  • Wasserrückhaltevermögen: Alles, was Strukturen schafft, schützt vor Wind, Verdunstung und Erosion und hält das Wasser im Boden. Aus diesem Grund ist es auch ratsam, Weinberge zu terrassieren.
  • Regulierung des Grundwasserspiegels und Reduktion des Nitratgehalts.
  • Bodengesundung und Humusaufbau: Begünstigt werden die Wasserspeicherkapazität und die Bodenlockerung, … und somit natürlich auch das
  • Bodenleben: Der Baumbestand fördert Mikroorganismen, Mykorrhiza, Pilze, Regenwürmer, … und folglich
  • nimmt die Biodiversität auch auf der Bodenoberfläche und auf den Pflanzen zu. Diese bedingt vielfältigere und mehr Hefen auf den Reben und Trauben.
  • Aus all dem ergibt sich, dass sie weniger anfällig für Krankheiten und Schädlinge sind.
  • So wird der Bedarf an Pflanzenschutzprodukten und Düngern reduziert und weniger CO2 emittiert.
  • Bäume sind mit ihrer Verdunstungskühle die perfekten Partner in der Klimawandeladaption und dienen als Schattenspender. Kühlender Schatten hält die Photosynthese aufrecht; diese stockt in den Reben bei 38° Celsius.
  • Sie sind CO2-Speicher. Die Speicherkapazität hängt allerdings vom Boden ab. Ist dieser schon gesättigt, wird kein CO2 mehr aufgenommen. Dies gilt laut dem Agronomen Hübner etwa für Streuobstwiesen.
  • Wind- und Erosionsschutz. Bäume sind Barrieren gegen den Wind und halten die Erde am Boden.
  • Luftaustausch. Wind zwischen Bäumen oder Sträuchern führt zu Turbulenzen und wirkt sich positiv auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit aus. Achtung, winters können Hecken Kälte streuen und zu Frost führen. Ihre Positionierung ist gut zu planen.
  • Habitate für Tiere, Vögel und Insekten werden geschaffen.
  • Bäume, Hecken, Sträucher und Wälder helfen, das wertvolle Kulturgut Weinbau gegen den Klimawandel zu schützen und zu bewahren.
  • Zusätzlich bringt Vitiforestry wirtschaftlichen Nutzen von Holz und Früchten.
→ mehr dazu in der Präsentation „With Trees against Drought” von Dr. agr. Rico Hübner, vom Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft.

Auf gute Nachbarschaft! Laut dem Agronomen Rico Hübner treten Konkurrenzen hinsichtlich Wasser und Nährstoffen sowie eine geringfügige Ertragsminderung nur in unmittelbarer Nähe von Bäumen und Sträuchern auf. Da Bäume in anderen Bodenzonen wurzeln als Reben oder Feldfrüchte, dürfte die Konkurrenz m.E. eher begrenzt sein. In Zonen mit größeren Abständen kann es sogar zu einer Ertragssteigerung kommen.

Je nach Lage, Ausrichtung, Beschaffenheit und Größe der Weingärten können Bäume, Hecken und Sträucher entweder mitten im Weingarten, am Rand oder sogar gezielt als eigene Reihen (Alley Cropping) angepflanzt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass Maschinen zwischen den Rebzeilen hindurchfahren und am Ende wenden müssen. Wenn man also Bäume in diesem Bereich pflanzt, sollte man unbedingt ihr Größenwachstum berücksichtigen. Es empfiehlt sich, Beratung in Anspruch zu nehmen, um Fehler zu vermeiden. Fehler, die möglicherweise erst Jahre später entdeckt werden und schwerwiegende Kosten sowie negative Auswirkungen auf die Umwelt zur Folge haben können.

Baum ist nicht gleich Baum! Nicht jeder Baum ist ein geeigneter Partner im Weingarten. Es ist wichtig, dass ein Baum standortgerecht und heimisch ist und den Herausforderungen des Klimawandels standhalten kann. Eichen wären für letzteres eine gute Wahl, sie sind jedoch zu starke Konkurrenten für Rebstöcke auf einem Umkreis von 10 bis 15 Metern. Sollten bereits Eichen im Weingarten stehen, kann man diesen Effekt durch das Pflanzen von Rosenbirnen oder wilden Zwetschken zwischen ihnen und den Reben mildern, wie der französische Berater Erik Bergmann in seinem Vortrag im Rahmen der Demetertage 2023 in Wien erklärte. Seiner Erfahrung nach sind Eschen, alle Obstbäume, Vogelbeere, Speierling, Wildbirne, Mandel und Maulbeere immer gute Partner für Reben. In südlichen Regionen sind traditionellerweise Feigen- und Olivenbäume bewährt gute Nachbarn.

Es ist allgemein bekannt, dass Wälder in der Nähe von Weinbergen eine kühlende und ausgleichende Wirkung haben. Eine neue Erkenntnis für manche ist jedoch, dass bei Aufforstungen bevorzugt Laubbäume gepflanzt werden sollten. Denn im Winter verdunsten Nadelbäume ebenfalls Wasser und entziehen dem Boden Feuchtigkeit.

Gut Ding braucht Weile! Die ersten Auswirkungen neugepflanzter Bäume und Sträucher sind nach etwa drei Jahren spürbar und werden nach fünf bis zehn Jahren deutlicher wahrnehmbar. Mit zunehmender Größe der Pflanzen manifestieren sich die positiven Effekte immer schneller und stärker. Es empfiehlt sich auch, das Lebensalter der Bäume und Sträucher an das der Reben anzupassen. Manche Obstbäume erreichen dieses nach 20 Jahren und müssen gefällt werden. Arbeit, die zumeist den Einsatz schwerer Maschinen erfordert.

Wenn Baum- oder Strauchzonen gerodet werden, kann der gesunde Boden für Feldfrüchte oder auch neue Rebpflanzungen genutzt werden. Zeit für neue Partnerschaften!

Nachtrag 2024/04. Weitere Vitiforestry-Protagonisten: Alwin Jurtschitsch und Franz. R. Weninger.